Fast jede westliche Industrienation wird inzwischen von einer Schuldenkrise gequält. Für den Historiker Niall Ferguson, der in Harvard Geschichte lehrt und das Buch „Der Westen und der Rest der Welt“ geschrieben hat, ist das der Anfang vom Ende der westlichen Vorherrschaft auf der Welt. Was seiner Meinung nach aber nicht nur an den übermäßigen Staatsschulden liegt. Niall Ferguson erklärt: „Und diese Schuldenkrise ist auch keine Folge der Finanzkrise. Sie wäre sowieso gekommen, weil die Staaten überaltern und ihre Wohlfahrtssysteme nicht mehr bezahlen können. Der EU-Gipfel hat diese Probleme nicht gelöst.“ Der Westen kann laut Niall Ferguson seine Schuldenkrise auf drei Wegen in den Griff bekommen: die erste Variante wäre dabei eine radikale Reform der Wohlfahrtsstaaten und der Steuersysteme, um mehr Geld in die Staatskassen hereinzuholen.
China hat von der Globalisierung mehr profitiert als der Westen
Der zweite Weg, bestünde darin, eine Inflation anzufachen, was ja schon häufiger vorgekommen ist. Die dritte Möglichkeit bestünde in Staatsbankrotten, die es auch schon ein paar Mal gab. Die dritte Variante wäre laut Niall Ferguson gar nicht so schlecht, weil die Kosten am Ende eines Bankrotts am Ende niedriger sind, als man denkt. Als Beispiel nennt er Argentinien, das dies gleich mehrmals bewiesen hat. Niall Ferguson glaubt, dass die politisch robusten Länder den ersten Weg, die schwachen Länder den zweiten und die verantwortungsbewussten den dritten Weg wählen werden.
China ist gemäß Niall Ferguson wirtschaftlich so stark geworden, weil der Westen es darum gebeten hat. Die Globalisierung hat nicht nur den Chinesen, sondern auch den Deutschen viele Vorteile gebracht. Niall Ferguson sagt: „Stellen Sie sich vor, wo Deutschland ohne den chinesischen Absatzmarkt heute stünde. Aber China hat von der Globalisierung mehr profitiert als der Westen. Hunderte von Millionen Chinesen sind bitterer Armut entkommen.“ Für Niall Ferguson ist es ein Paradox des liberalen Imperiums, dass es seinen eigenen Abstieg vorantreibt – mit den besten Absichten und ohne es zu wollen.
Deutschland gilt als neue Führungsmacht in Europa
Die Chinesen imitieren laut Niall Ferguson nicht die Kultur des Westens, sondern nur seine Organisationsformen. Er sagt: „Man kann seine traditionelle Kultur erhalten – und trotzdem wissenschaftliche Methoden anwenden oder das Privateigentum schützen.“ Niall Ferguson sagt allerdings auch, dass wirtschaftlicher und politischer Wettbewerb wichtige Faktoren für den ökonomischen Erfolg darstellen. Das heißt aber nicht, dass China unbedingt eine Demokratie werden muss. Zu den individuellen Freiheitsrechten ist es dort noch ein weiter Weg.
Dass Deutschland nach dem jüngsten EU-Gipfel als neue Führungsmacht in Europa gilt, überrascht Niall Ferguson überhaupt nicht. Deutschland befindet sich seiner Meinung nach jetzt in dieser machtvollen Position, weil es von Anfang an der Zahlmeister des Systems war. Aber er weist auf ein Paradox hin, das entsteht, wenn man den Einfluss Deutschlands auf die Welt betrachtet und erklärt: „Je mächtiger Deutschland in der Eurozone wird, desto machtloser erscheint es anderswo auf der Welt. In militärischen Belangen ist Deutschland vollkommen unzuverlässig und nutzlos.“
Von Hans Klumbies