Für Joseph Stiglitz, der im Jahr 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet wurde, hat die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise grundlegende Mängel im kapitalistischen System oder zumindest in der besonderen Spielart des Kapitalismus, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA entstanden ist. Diese Variante wird manchmal auch als amerikanischer Kapitalismus bezeichnet. Joseph Stiglitz schreibt: „Diese Mängel wurden lange Zeit nicht erkannt, weil wir Amerikaner so sehr an unser Wirtschafssystem glauben. Unser Team war um so vieles erfolgreicher gewesen als das unseres Erzfeindes, des Ostblocks.“ Die Selbsttäuschung der Amerikaner wurde noch dadurch verstärkt, dass ihre Wirtschaft viel schneller wuchs, als in fast allen Ländern, mit Ausnahme der chinesischen. Da die Amerikaner aber große Probleme im chinesischen Bankensystem vermuteten, sei es bis zu seinem Zusammenbruch nur noch eine Frage der Zeit. Welch ein Trugschluss.
Die Fehlinterpretation von Wirtschaftsdaten ist weit verbreitet
Es ist laut Joseph Stiglitz nicht das erste Mal, dass die Fehlinterpretation von Zahlen, Urteile, die sehr fehleranfälligen Urteile der Wall Street eingeschlossen, maßgeblich beeinflusst hat. Er schreibt: „In den 1990er Jahren wurde Argentinien als die große Erfolgsgeschichte Lateinamerikas hingestellt – als der Triumph des „Marktfundamentalismus“ auf der Südhalbkugel. Die argentinischen Wachstumsstatistiken sahen einige Jahre blendend aus.“
Allerdings übersahen die Analysten, dass wie im Fall der Vereinigten Staaten von Amerika, das argentinische Wachstum auf einem Schuldenberg basierte, der ein langfristig nicht tragfähiges Konsumniveau aufrechterhielt. Im Dezember 2001 erreichte dann die Verschuldung Argentiniens eine kritische Schwelle und die Wirtschaft des südamerikanischen Landes brach zusammen. Selbst heute ist der Glaube in den USA an den amerikanischen Kapitalismus noch so ungebrochen, dass es immer noch Menschen gibt, die bestreiten, dass die amerikanische Wirtschaft vor wirklich großen Problemen steht.
Die US-Wirtschaft ist von tief sitzenden Problemen betroffen
Viele Amerikaner haben die Hoffnung, dass sie nach der gegenwärtigen Durststrecke gleich wieder auf einen Pfad robusten Wachstums zurückkehren könnten. Joseph Stiglitz ist da anderer Meinung und erklärt: „Doch wenn man die US-Wirtschaft genauer unter die Lupe nimmt, erkennt man einige tiefer sitzende Probleme: eine Gesellschaft, in der sogar das Einkommen der Mittelschicht seit einem Jahrzehnt stagniert, eine Gesellschaft, die durch wachsende Ungleichheit geprägt ist; ein Land, in dem – auch wenn es spektakuläre Ausnahmen gibt – die statistischen Chancen eines Amerikaners, es an die Spitze der Einkommenspyramide zu schaffen, geringer sind als im Alten Europa.“
Gemäß Joseph Stiglitz hat in Amerika nicht nur der Finanzsektor, sondern auch weitere Schlüsselsektoren einer Volkswirtschaft, wie das Gesundheitswesen, die Energiewirtschaft und das verarbeitende Gewerbe mit ernsthaften Schwierigkeiten zu kämpfen. Für den Nobelpreisträger beschränken sich die Probleme allerdings nicht allein auf die USA. Er schreibt: „Die Ungleichgewichte im Welthandel, die schon vor der Krise bestanden, werden nicht von selbst verschwinden. In einer globalisierten Wirtschaft kann man die Probleme Amerikas nur dann umfassend angehen, wenn man sie in diesem übergeordneten Rahmen betrachtet.“
Von Hans Klumbies